Laudatio von Annette Ody zur Vernissage am 21.4.16
In meiner Rede werde ich zunächst auf Deine Person eingehen, was uns beide verbindet und auf den kommunikativen Charakter Deiner Schmuckkunst, denn die Objekte Deiner heutigen Ausstellung haben unmittelbar damit zu tun und sind auch in Entwicklung daraus entstanden, bevor ich eine kleine Exkursion über die Infrastruktur Landshuts mache, denn Du gehörst ja dazu, um dann zum Thema der eigentlichen Ausstellung zu kommen.
Die Poesie
Zuerst ist mir eine neue Poesie aufgefallen, die sich hier in Landshut in der Freyung niedergelassen hatte, als Vera Bosdorf ihre Galerie in der Freyung eröffnete.
Etwas staunend betrachtete ich die Schmuckobjekte im Schaufenster einer Vera Bosdorf und las deren Namen: Wolkenbahn und Tropfenstern.
Und dann führte mein Weg jeden Tag daran vorbei, wenn ich meinen Spaziergang machte. Ehrlich gesagt, interessierten mich die Schmuckobjekte erst auf dem zweiten Blick. Zuerst war mir die Literatur wichtig, die unter den Schmuckteilen zu lesen war.
Denn sie zeugten von sprachlichem Individualismus, Kreativität und von großem Einfallsreichtum einer Schmuckkünstlerin, wie ich sie so noch nicht gekannt habe.
„ Sie muss ihre Kreationen wie ihre Kinder empfinden, dass sie ihnen solche Namen gibt“ dachte ich und wurde sehr neugierig so auch auf die Schmuckobjekte. Dann überprüfte ich die Kohärenz zwischen der Namensgebung und der Aussage des Schmuckes.
„Eine Dichterin, neu in Deiner Nähe“ sagte ich mir und guckte näher, um die Person zu sehen, die dort arbeitete.
Die Freundin
Irgendwann traf man sich,- ich weiß nicht mehr, wann und wo,- aber der Kontakt begann mit Ratschlägen, die uns beide gegenseitig, damals, wie heute in wohlwollender Weise unterstützt. Dass ich hier davon berichte, ist wichtig, weil es die Person Vera beschreibt.
Besonders schätze Ich an Vera ihre Offenheit und Unvoreingenommenheit gegenüber den Menschen, die ihr begegnen und gegenüber deren Anliegen und Vorhaben. Bei Vera findet keine Intoleranz Raum und alles, was eventuell zum Kunstmachen taugt, kann mit ihr ernsthaft erörtert, geprüft und manches umgesetzt werden. Brainstorming mit der Künstlerin und Freundin Vera Bosdorf macht Spaß und ist ergebniserfüllt.
Die Treue
Selten habe ich einen Menschen kennengelernt, der gegenüber sich selbst und damit auch anderen Menschen absolut treu bleibt. Naturmaterial zu Kunst gemacht, zu menschenschmückenden Kunst, ist ein zentrales Thema in der Arbeit von Vera Bosdorf und ihre Treue zu ihrer Arbeit, ihren Konzepten.
Treue heißt nicht festgefahren sein oder in Erstarrung festhalten. Vera nutzt die ihr innewohnende Tugend der Treue als Sichere Grundlage für Experimente und probiert immer wieder aus: Ungewohnte Themen in unterschiedlichem Material zu Ketten, Colliers oder Ohrschmuck verarbeitet und mit Namen ausgestattet: Luftspringer, Weiche Flocke, Regenbaum, Erinnerungsdiamant. Auch besondere Kunststoffe verarbeitet sie zu Schmuckobjekten. Und sie geht weiter, erarbeitet sich von der Dreidimension des Schmuckes zur Zweidimension von Bildern und Grafiken.
Wegen der Freude am Tun, am gestaltenden Experiment zu wachsen und neue Wege zu finden, war der Schritt, dass Vera Bosdorf ihre Galerie auch anderen Künstlern für eine Ausstellung zur Verfügung stellt, nur ein kleiner Schritt.
Hier sei mir ein kleiner Exkurs zur Stadtarchitektur Landshuts erlaubt:
Die Freyung
Vera Bosdorf ist die einzige Kunsthandwerkerin, angesiedelt an einem der stadtarchitektonisch reizvollsten Plätze in Landshut-die Freyung.
Das finde ich schade, dass sie hier die einzige ist und empfinde es als eine Unterlassungssünde. Ein Übersehen, dass die baulich gewachsene Potenz der Freyung immer noch nicht als mögliche touristische Preziose für die Ansiedlung von Kleingewerbe und Kunsthandwerkern erkannt wurde.
Man stelle sich nur vor, wie Landshut damit prosperieren könnte: Die Freyung als Ort für interessante kleine Läden, von Tante Emma, über Galerien, Kunsthandwerkern, Ateliers und Souvenirs, und schöne Cafés. Es wäre ein kolossaler Anziehungspunkt für Tourismus und lebendigem Einkaufserlebens.
Andere Städte machen es vor: Das Schnoorviertel in Bremen, das Holländische Viertel in Potsdam, das Nauwieser Viertel im Herzen Saarbrückens oder die Südvorstadt in Leipzig und viele mehr. Und was wäre Worpswede ohne seine Kunsthandwerker und Ateliers.- Ein fast namenloses Torfdorf. Aber es ist reich,- reich an Kunst, Kultur und Kommerz.
Landshut
Landshut hat bis heute KEIN Atelierhaus für seine Künstler oder gar ein theaterpädagogisches Zentrum, wie etwa die kleine Stadt Lingen im Emsland, die damit inzwischen zum europäischen Zentrum für Theaterpädagogik gewählt wurde. In Landshut können Kinder zur Musikschule gehen, oder hie und da mal einen Kurs belegen, der von unterschiedlichen Trägern angeboten wird. Aber es gibt keine profilgebende Kunst- und Kreativschule in Landshut, an der sich Werte ausbilden und erhalten ließen. Landshut ist seit ca. 1875 eine bekannte Keramikstadt und hat bis heute keine zentral gelegene städtische Keramikwerkstatt mit z. B. Schauraum für die Präsentation des Querschnitts aus den ansässigen Keramikwerkstätten aus Landshut- Kreis.
Selbst kleine Orte, wie z. B. das norddeutsche Kellinghusen in Schleswig – Holstein hat das.
Wie schmuck würde so etwas dieser sonst so außergewöhnlich schönen Stadt Landshut zu Gesicht stehen. Und wie schmuck ist die kunsthandwerkliche Galerie einer Vera Bosdorf in der Freyung.
Wo in Landshut, wenn nicht gerade während der Landshuter Hochzeit, verwandelt sich am Abend die Straße in ein bunte Meile mit Kneipen und Freisitzen, von denen aus man einen Abend und eine Nacht genießen und dem Treiben zuschauen kann? Ein wenig Isargestade, ein wenig Alt- und Neustadt…… aber sonst ziemlich leer und verlassen liegen diese Innenstadtstraßen da, wenn es dunkel und später wird. Die Freyung ist sehr zentrumsnah und würde mit einer eigenen verlockenden Welt aus Galerien, Kunsthandwerkern, Kleinkunst- und Alternativszenerien, dem Profil Landshuts ein sehr attraktives Outfit verleihen. Eine kulturpulsierende Szene, die sich entwickelnd durchaus auch in die Gässchen zwischen Alt- und Neustadt bis hin an die Isar ausdehnen könnte.
Ich bin aber schon sehr froh für Landshut, Vera, dass Du da in der Freyung bist und nicht nur kunstvoll handgefertigten Schmuck, sondern auch Kunst direkt machst! Danke Dir!
Soweit, bitte ich meine Überlegungen zur Landshut Stadt anzunehmen, denn diese Gedanken sind immer auch wichtige Themen in den Gesprächen zwischen Vera Bosdorf und mir gewesen.
Die Sprache
Das ist auffällig bei den Werken Vera Bosdorfs, dass sie überall mit Sprache spielt. Namen für ihre Schmuckobjekte, für Ausstellungen, Poesie für Präsentationen, Gespräche mit Menschen in ihrer Galerie. Und hier findet sich auch der Bezug zwischen der Schmuckkunst und der fotografischen Arbeit dieser Ausstellung.
Vera hatte Fotos für ihre Objekte und von ihrer Galerie gemacht. Schwarze Papierstreifen vor Gesichter mit Texten. Augen auf,- und wer guckt wie? Was guckt wer, wohin? Und überhaupt, WER guckt da? „Die Idee war da und dann wollte ich sie einfach umsetzen. Ganz simpel“ sagt Vera und schenkt das Rätsel des schwarzen Papierstreifen mit Text vor Gesichtern den Besuchern dieser Ausstellung. „Es ist ganz simpel“, sagt sie.
Nein, Vera, so simpel ist das nicht. Der schwarze Streifen ist ein bekannter Zensurbalken, der immer auch in einer Verbindung zur Aussage eines Fotos und der dazugehörigen Kommunikation zu sehen ist. Ein Zensurbalken ist eine tragische Figur in der Ikonografie der Fotoberichterstattung, also alles andere als simpel……
Der Zensurbalken
Wie aktuell er gerade wieder ist und wie triefend vor Bedeutung er eingesetzt wird, konnte man erst letzte Woche sehen, als der Pegida-Chef Lutz Bachmann mit einer „Zensurbalken-Brille“ zu seinem Prozess wegen Volksverhetzung ins Dresdner Amtsgericht gekommen war. Er wollte sich etwas „Witziges“ einfallen lassen damit die Presse keine vernünftigen Bilder bekommt, so seine Aussage.
Eine krude Idee, überhaupt den Begriff „witzig“ in Beziehung zum Thema seiner Gerichtsverhandlung, nämlich den Vorwurf der Volksverhetzung, zu setzen.
Analog zu den hier ausgestellten Zensurbalken mit Text, wären nämlich die von ihm für Menschen benutzten Begriffe wie: „Viehzeug“, „Gelumpe“ und „Dreckspack“ auf dem Zensurbalken seiner Portraits zu lesen gewesen.
Deine Arbeit, Vera, ist also augenscheinlich heute und hier ein hochpolitisches Werk, das großen Wert hat und wichtige Denkanstöße gibt.
Die Auswahl
Personen, die den Weg Vera Bosdorfs kreuzen wurden aufgefordert spontan und ohne Überlegung die vorbereiteten Texte auszuwählen und den Zensurbalken für das Foto zu benutzen. Man hatte die Auswahl:
Aussagen, Fragen, Befehle und Abkürzungen aus der Sprachkultur der Jugend.
Es interessierte Vera Bosdorf besonders, welche Sprüche wurden wie oft gewählt wurden und ob Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Auswahl deutlich würden. Auch wäre es interessant gewesen, wie sich die Menschen verhielten, wenn sie zur Auswahl des Textes und zum Foto aufgefordert wurden. Vera erlebte vieles,- Interesse, Neugier, Spielereien und Ablehnung. Vera hat da eine Liste mit der Auswertung…….
Nun ist Vera Bosdorf kein Institut, welches empirische Erhebungen betreibt sondern Künstlerin. Aber Vera wäre nicht Vera, wenn sie mit diesen Ergebnissen nicht doch etwas vorhätte. Nur was?
Geht es ihr im Übertragenen Sinne darum, sich mit der Individualität ihrer Modelle zu beschäftigen? Und damit das Vorder- oder Hintergründige des Menschen und seines Präsentationsverhaltens zu ergründen? Das wäre natürlich für Bosdorf- Schmuck und deren Träger durchaus wichtig zu wissen.
Zuzutrauen wäre es das der Frau Doktor Vera Bosdorf. Man darf gespannt sein auf ihre neuen Kreationen, die demnächst kommen. Aber ich weiß das, es liegt eben doch keinerlei opportune Berechnung im Wesen von Vera und mit der Empirie, die sie zu ihrem Foto-Projekt aufgestellt hat, sondern es ist das elegante Understatement und Gentlewomenlike ihrer Künstlerpersönlichkeit, die hier ein Profil zeigt. „Nicht mit mir“ und gerade deshalb DOCH mit ihr, mit Vera. LOL
Die Unkenntlichmachung
Ist es möglich die Individualität eines Menschen durch einen Balken zu verdecken? Wir befinden uns im digitalen Plastikzeitalter, im Autozeitalter, im Dokumentations- und Datenschutzzeitalter.
Neuerdings ist es nicht genug, um den Datenschutz von Personen auf einem Foto mit einem Zensurbalken ausreichend zu gewährleisten.
„Schwarze Balken genügen zur Unkenntlichmachung nicht!“ befand das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main. In der Presse reichen „schwarze Balken“ über den Augen nicht aus, wenn Personen danach in ihrem näheren Umfeld noch anhand des Bildes identifiziert werden können, weil z. B. der Kopf, die Frisur und ein Teil des Gesichts oder auch der Körper vollständig erkennbar sind.
Wer sich die Schlagzeilen der Medienlandschaft anguckt, stellt fest, dass sich ein Füllhorn von Skandalen und Skandälchen tagtäglich über den Nachrichten- und Yello Press- Himmel ausschüttet. Der Negativbericht über andere Menschen und besonders über bekannte Persönlichkeiten ist die Lieblingslektüre einer breiten Bürgerschaft. Man liebt die Schadenfreude, die Sensation. Natürlich nur, wenn sie andere betrifft. Und irgendeine Unterhose sollte auch dabei sein.
Schon bei den Bänkelsängern konnte man feststellen: Die Moral von der Geschicht ist sehr an Lehre reich…..und tut nur einem weh: Dem Opfer. Ich bleibe selig ungeschoren unbemerkt………… Das Opfer ist der andere. Ich gehöre zu den Guten,- oder zu den Gaffern?
Oh, wie spannend ist die vor mir versteckte Mitteilung, wenn mir ein schwarzer Balken die Identität einer Person des Geschehens verheimlichen will?
Gafferei ist geil,- und grässlich und unter diesem Aspekt bekommen die Aussagen der Texte auf den Zensurbalken der Fotoportraits von Vera Bosdorf eine ganz eigene Dimension.
Das Rätsel löst sich zögernd, Vera.
Es war wohl schon immer so unter Menschen, dass sie gerne verboten von sich selbst weggucken und weggucken lassen, denn schon in der Bibel heißt es: Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht wahrnimmst? Ja, wenn es nur immer gelänge, zur rechten Zeit den Balken im eigenen Auge zu sehen, wieviel besser wären wir! Sagt dazu Leo Tolstoi. Und ich finde, er hat Recht.
Vielen Dank, Vera für diese Ausstellung!